Martin C. Herbst
Parmigianino
„Ich nehme ein historisches Gemälde zum Anlass, um dessen zeitlose Fragestellung aufzugreifen, zu aktualisieren und weiterzuentwickeln.“
Parmigianino, Selbstportrait im Konvexspiegel, um 1524
Martin C. Herbst bezieht sich in seinem aktuellen mehrteiligen Werkblock auf Parmigianinos Selbstporträt in gemalter Konvexspiegelform aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum. Dabei zitiert der Künstler nicht motivisch den Meister der Manierismusmalerei, vielmehr ist es ein malerisch-mediales Verhältnis zwischen Geschichte und Gegenwart. Herbst malt ein Gesicht einer Person aus seinem Bekanntenkreis. In dem er der Arbeit den Werktitel Parmigianino gibt, verfremdet der Maler die ursprüngliche Bedeutung und Aussagekraft der abgebildeten Person. Nicht der Mensch, seine Charakterzüge oder seine Vita stehen im Mittelpunkt, sondern die Person fungiert als Statthalter für die Malerei und deren kunstgeschichtliche Referenzen.
Martin C. Herbst stellt die Malerei in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Tätigkeit. Trotz realistischer Züge und illusionistischer Plastizität und Stofflichkeit des Dargestellten steht die malerische Sinnlichkeit im Fokus. Diese organisch-stoffliche Qualität steigert der Maler, indem er das durchwegs konkret wiedergegebene Gesicht mit breiten Pinselstrichen in waagrechten Bewegungen verwischt. Geheimnisvoll verwebt sich die lineare, plastische Figur mit der malerisch unscharfen Schicht. Eine sfumatohafte Verschleierung zugunsten der Malerei tritt ein. Andererseits erweckt solch ein Bild Erinnerungen an neue Medien mit Bildrastern. Der Pinsel fungiert sozusagen als Plotter oder Scanner, der gleichmäßig die Oberfläche abtastet und die digitalen Daten auf die Bildfläche printet. Ein komplexes Verhältnis zwischen konkreter Mimesis und unmittelbarem Gestus tritt ein. Im Unterschied zu seinem letzten großen Werkblock angelus in Anlehnung an Michelangelos Darstellung der libyschen Sibylle in der Sixtinischen Kapelle, der in warmen Farben gehalten ist, scheinen Herbsts neue Bilder auf den ersten Blick lediglich mit Grautönen gemalt zu sein: trotz der koloristischen Askese entdeckt man aber eine Vielzahl von farblichen Nuancen wie Spuren von kühlem Blau, warmen Gelb und Rot.
Martin C. Herbst hat als Bildträger nicht nur die plane Bildfläche gewählt, sondern auch konkave Schalen sowie glänzende Edelstahlkugeln eingesetzt. Seriell malt er ein und dasselbe Bildmotiv in leicht veränderten Variationen. Hinzu kommen als Pendants Totenkopfmotive. Ikonografisch gesehen, sind sie in der Malereigeschichte als Metapher für das Vergängliche, den ausweglosen Tod des Menschen verwendet worden, oft in Stilllebenarrangements integriert. Martin C. Herbst behandelt sie jedoch als gleichwertige Motive zu den Porträtköpfen. Sie repräsentieren nicht die feine Haut des Menschen sondern das ungeschönte Darunter. In der klassischen figurativen Malerei gilt die malerische Umsetzung von Haut als eine der großen Herausforderungen; man denke an das Inkarnat in Aktgemälden von Rembrandt, Courbet oder Lucian Freud. Martin C. Herbsts malerische Stofflichkeit von Totenkopf und menschlicher Haut ist durchwegs ähnlich definiert, verschleiert durch den Sfumatoeffekt der verwischten Pinselstriche. Somit geht es dem Künstler keineswegs um die Herausforderung, die in der Mimesis von Haut oder Knochen liegt, sondern um Malerei als Malerei einerseits und um die Frage nach der Kontextualisierung und Zuordnung. Ob Porträtkopf oder Totenschädel – in beiden Beispielen bestimmt der Künstler das Bezugssystem, in diesem Fall Parmigianino.
Auf den gekrümmten Oberflächen der Kugeln erscheinen die Gesichter stark verzerrt, und in ihrem psychischen Ausdruck melancholisch: Eingesperrte „Mondgesichter“ in der silbernen Kugel. Ihre Oberfläche ist zusätzlich mit Kunstharzschichten überzogen, um die Spiegelung zu thematisieren. Die Rückseite der Kugel fungiert als Konvexspiegel, der den Realraum einfängt. Herbst hinterfragt die Malerei als Medium der Wirklichkeitswiedergabe und somit den Anspruch auf Wahrheit. Im späten 16. Jahrhundert gipfelte das Bestreben der wahrhaftigen Abbildung der Realität in einen „Paragonestreit“ zwischen den Vertretern der Malerei und Bildhauerei. Buenvenuto Cellini, großer Bildhauer des italienischen Manierismus, vertrat die „Vielansichtigkeit“ seiner in sich spektakulär gedrehten Marmorskulpturen, die „von allen Seiten gleich schön“ anzusehen waren. Die Maler konterten mit spektakulären Spiegelungseffekten im Bild oder verführerischen Trompe-L’œil-Darstellungen im fingierten marmornen Stein.
In einem räumlichen Spannungsgeflecht inszeniert nun Martin C. Herbst sein neues Werk, in dem sich der Ausstellungsbesucher bewegt. Malerei im Hier und Jetzt einerseits und Referenzen an die Malereigeschichte andererseits bilden die Knotenpunkte seiner malerischen Installation.
Florian Steininger
Parmigianino
„Ich nehme ein historisches Gemälde zum Anlass, um dessen zeitlose Fragestellung aufzugreifen, zu aktualisieren und weiterzuentwickeln.“
Parmigianino, Selbstportrait im Konvexspiegel, um 1524
Martin C. Herbst bezieht sich in seinem aktuellen mehrteiligen Werkblock auf Parmigianinos Selbstporträt in gemalter Konvexspiegelform aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum. Dabei zitiert der Künstler nicht motivisch den Meister der Manierismusmalerei, vielmehr ist es ein malerisch-mediales Verhältnis zwischen Geschichte und Gegenwart. Herbst malt ein Gesicht einer Person aus seinem Bekanntenkreis. In dem er der Arbeit den Werktitel Parmigianino gibt, verfremdet der Maler die ursprüngliche Bedeutung und Aussagekraft der abgebildeten Person. Nicht der Mensch, seine Charakterzüge oder seine Vita stehen im Mittelpunkt, sondern die Person fungiert als Statthalter für die Malerei und deren kunstgeschichtliche Referenzen.
Martin C. Herbst stellt die Malerei in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Tätigkeit. Trotz realistischer Züge und illusionistischer Plastizität und Stofflichkeit des Dargestellten steht die malerische Sinnlichkeit im Fokus. Diese organisch-stoffliche Qualität steigert der Maler, indem er das durchwegs konkret wiedergegebene Gesicht mit breiten Pinselstrichen in waagrechten Bewegungen verwischt. Geheimnisvoll verwebt sich die lineare, plastische Figur mit der malerisch unscharfen Schicht. Eine sfumatohafte Verschleierung zugunsten der Malerei tritt ein. Andererseits erweckt solch ein Bild Erinnerungen an neue Medien mit Bildrastern. Der Pinsel fungiert sozusagen als Plotter oder Scanner, der gleichmäßig die Oberfläche abtastet und die digitalen Daten auf die Bildfläche printet. Ein komplexes Verhältnis zwischen konkreter Mimesis und unmittelbarem Gestus tritt ein. Im Unterschied zu seinem letzten großen Werkblock angelus in Anlehnung an Michelangelos Darstellung der libyschen Sibylle in der Sixtinischen Kapelle, der in warmen Farben gehalten ist, scheinen Herbsts neue Bilder auf den ersten Blick lediglich mit Grautönen gemalt zu sein: trotz der koloristischen Askese entdeckt man aber eine Vielzahl von farblichen Nuancen wie Spuren von kühlem Blau, warmen Gelb und Rot.
Martin C. Herbst hat als Bildträger nicht nur die plane Bildfläche gewählt, sondern auch konkave Schalen sowie glänzende Edelstahlkugeln eingesetzt. Seriell malt er ein und dasselbe Bildmotiv in leicht veränderten Variationen. Hinzu kommen als Pendants Totenkopfmotive. Ikonografisch gesehen, sind sie in der Malereigeschichte als Metapher für das Vergängliche, den ausweglosen Tod des Menschen verwendet worden, oft in Stilllebenarrangements integriert. Martin C. Herbst behandelt sie jedoch als gleichwertige Motive zu den Porträtköpfen. Sie repräsentieren nicht die feine Haut des Menschen sondern das ungeschönte Darunter. In der klassischen figurativen Malerei gilt die malerische Umsetzung von Haut als eine der großen Herausforderungen; man denke an das Inkarnat in Aktgemälden von Rembrandt, Courbet oder Lucian Freud. Martin C. Herbsts malerische Stofflichkeit von Totenkopf und menschlicher Haut ist durchwegs ähnlich definiert, verschleiert durch den Sfumatoeffekt der verwischten Pinselstriche. Somit geht es dem Künstler keineswegs um die Herausforderung, die in der Mimesis von Haut oder Knochen liegt, sondern um Malerei als Malerei einerseits und um die Frage nach der Kontextualisierung und Zuordnung. Ob Porträtkopf oder Totenschädel – in beiden Beispielen bestimmt der Künstler das Bezugssystem, in diesem Fall Parmigianino.
Auf den gekrümmten Oberflächen der Kugeln erscheinen die Gesichter stark verzerrt, und in ihrem psychischen Ausdruck melancholisch: Eingesperrte „Mondgesichter“ in der silbernen Kugel. Ihre Oberfläche ist zusätzlich mit Kunstharzschichten überzogen, um die Spiegelung zu thematisieren. Die Rückseite der Kugel fungiert als Konvexspiegel, der den Realraum einfängt. Herbst hinterfragt die Malerei als Medium der Wirklichkeitswiedergabe und somit den Anspruch auf Wahrheit. Im späten 16. Jahrhundert gipfelte das Bestreben der wahrhaftigen Abbildung der Realität in einen „Paragonestreit“ zwischen den Vertretern der Malerei und Bildhauerei. Buenvenuto Cellini, großer Bildhauer des italienischen Manierismus, vertrat die „Vielansichtigkeit“ seiner in sich spektakulär gedrehten Marmorskulpturen, die „von allen Seiten gleich schön“ anzusehen waren. Die Maler konterten mit spektakulären Spiegelungseffekten im Bild oder verführerischen Trompe-L’œil-Darstellungen im fingierten marmornen Stein.
In einem räumlichen Spannungsgeflecht inszeniert nun Martin C. Herbst sein neues Werk, in dem sich der Ausstellungsbesucher bewegt. Malerei im Hier und Jetzt einerseits und Referenzen an die Malereigeschichte andererseits bilden die Knotenpunkte seiner malerischen Installation.
Florian Steininger